Im Tal der Könige
für Margherita
Wenn scheu nach langem Schlaf
die Seele über Hügel steigt wie
über Theben je der Sonnenball,
unwandelbar Dein Angesicht im
Linnen prangt, und unberührt,
zerkratzt nicht von Dämonen,
glüht, mich zu empfangen weit wie
Erde je am Stein seit Edens Schein,
was, Gott, mußt jäh aus uns erstehn,
Gefährte stets, der mitreist unter
Nacht, der einst, in einem erst-
bestirnten Augenblick erst rief die
Zeit, dann modellierte sanft den
Raum, ihn in der Schale haltend
sacht der Hände, Platz zu schaffen
für ein Angesicht, und Sonnen
küßte wach und Monde, mehr als
je ein Traum erdacht an Königs
Grab, im Gang zur unversehrten
Kammer, Schacht zur neuen Welt.
Und meine Antwort sei Dein An-
gesicht, das Deine wie es sein.
Gebärend Licht schon, zaubert’s
Rätsels Spruch zu Rites Glyphe, daß
ein Ausgang sei in Dein Gesicht.
Abend
Wehrkirche,
Taubenturm,
Frieden im Feld.
Selbst den Wunden Wind.
Alter Mann
auf dem Friedhof.
Ein Kommen und Gehen
in Luft und Duft.
Wehrlos schwirren
die Boten, drauf
nickend Dein Gurren
von Hier nach Dort.
Auf der Rückfahrt
des Märchenschnees Pferd,
von der Nacht schon
leis blau getauft.
In den Garten.
Noch war er wahr.
Voller Frieden.
Als käm ein Tag.
Als die Bilder laufen lernten
Foto vom Abtransport der Kinder
aus dem Ghetto Lodz 1942
Ich höre Eure Schritte nicht.
Da müßte etwas schlurfen,
schleifen, schlammig schaben.
Trocken ruckt‘s nur schweigend
durch die Schnecke, rückt
aus Gang und Bild. Hallt nach
der Antipsalm des Ältesten?
Rumkowski, wie er jammert,
lechzt sein: ‚Gebt mir Eure
Kinder‘ hin? Mißbrauchter
Ghettogott. Die Brut verfüttern,
daß SS den Rest verschont,
den Horst auf eines Tempels
Stumpf. Schwingt da was mit?
Ich höre nichts. Nur Leere,
hörbar nur als Ohrgeräusch,
bloß Rauschen erst, wie einst,
wenn Bildschirm flimmerte zur
Kindernacht, dann stetig steigend
Pfeifen, leise, doch ein Hund
würd toll, aseptisch jetzt ein
Sinuston, der Kinderstimmen,
weit, am Anfang erst vom
Schneckengang, erstickt.
Chaim Rumkowski – Judenältester des Ghettos von Lodz bis zu dessen Auflösung 1944; ermordet am 28.8.1944 in Auschwitz.
Das Fallbeil der Geigen
Theresienstadt.
Verdis Requiem.
Lagerorchester.
„Wir sind noch genug,
es zu spielen.“
Sie proben es eilig.
Aus Tunneln des Lichts
stoßen Saiten in
Rhythmen von Därmen.
Nimm glitzernd uns auf,
die gespieen hervor
aus Verdammnis!
Kein Fallbeil uns richtet,
nur Luft, die verbraucht
seit der Schöpfung.
Votiv im Wald
Hier haucht sich Stille selbst den Raum.
Ein kleines Gnadenbild gibt Licht:
Ein toter Sohn in Mutters Arm,
sehr klein geschnitzt, man ahnt nur Gram.
Hier ist schon lange nichts geschehn,
sind Kerzen jung, Gebete alt.
Daß Gott sich manchmal doch erbarm,
hofft drin, gereimt, viel Tafelkram –
nie glaubt, nicht hat’s die Welt gesehn:
So stammesalt wüßt’s kaum der Baum,
wenn laut aus Laub Choral erschallt –
der Vögel Dank fürs letzte Licht,
den Wunderbrand, der Wunden Samt,
uns Armen auf den Arm geflammt.
Wie stickig Stille, kaum noch Raum.
Nur Vogelsang noch Dämmer bricht,
ein Gnadenklang vom Gipfelsaum –
Kapelle schweigt zum Kerzenwald.
Votiv mein Herz, hängt sich dazu,
dankt leis fürs Leben, fleht um Ruh.
Spätsommersüchtig
Weht hoch überm Ländler der Linden,
gestärkt wie vorm Beischlaf, das Linnen
von Wolken, nährt Blaublut aus Brüsten
mit himmlischer Kühle den Reigen, spielt
Wind, höret nimmer mehr auf – dieser
Tag riecht nach Mozart, des Elfenbeins
Sehnsucht, Novellen vorm samtenen Laub
des Orchesters: Das Licht blättert um, denn
bald lassen die Spinnen die Netze und treiben
zum Riß jeden Jahrs, treiben lässig, solange
das letzte noch fehlt, wie‘s noch keiner
gezählt. Und noch einmal erstand aus dem
Turmstumpf die kupferne Nadel, so stolz fast
wie jenseits vom Krieg.
Überkomme Du, Blau, meine Augen – schon
steigt meines Opfers weißglänzender Rauch
in die harfenbewegten, begrünten Gedanken,
so lotrecht, als kreisten sie frei um des Sonnen-
gotts feurigen Thron. Leis verhallen die grottigen
Schreie, so hohl wie beim Nagen von Knochen
der Winter, als kämen jetzt Tasten zu trösten
wie Elfen aus dunklem Klavier. Warum
nutzten wir nie, als noch Laub schüchtern
leckte vom Tau, unsre Zungen des Lichts, warum
wiesen wir Langzeit, das Drängen der jubelnden
Stimme stets ab und verkämpften uns kurz?
Ich gedenke mit Wehmut des Röchelns, schier
endlosen Sterbens von pfeifend noch kämpfender,
Exitus, Möglichkeitsluft.
Spaniens Mystik
Wangenknochigen Augs
wie ackersplissigen Munds,
geröllgetaktet im Herzen
(ein Huf in der Brust),
dem Echthaar des Heilands,
dornenkrächzend im Lippspalt,
Strähnenstränge spulen des
Leids, murmelnd den Vorhang,
Perlen, Rockschoß der Scham:
Kalfaternd sie weinen, klirrend
verrieseln, der Reinen ins
Schandtuch, bar mich,
blindschößig, bodenbeglückend:
Lösch mir, Lichte im Lindschlaf,
Lendenlohs Züngeln,
aschenhoch achte, läutre,
häutend sie, läutend die
Seele, heute noch brenn ich,
heute mein Autodafé.
Kriechkeuchend noch spanne,
brechend mir Arme, Füße,
das elende Haupt, schon ächzend,
himmlisch, vor Schönheit,
den Leib, daß werd er unendlich,
ewig mein Kreuz.
Die Wunde des Lichts.
Das bittere Blut.
Melancholia und Brahms
Felsakkorde,
langhin ein-
gesunkner
Umbruch
grauem Feld
voll Furchen-
schrift und
Krumen Eis.
Denk Netze
ins kahle Geäst,
flecht Kaskaden
von Moder und
Moorduft den
Halt; pflüg rasch
Zeichen in Zeit,
brich unendlich
mit Kälte dann
Rhythmen des
Ackers: Zu Scher-
ben, vergebens
gehärtet vor Sporen
des Traums:
Als nickte ein Tier:
Aus dem Cello
raucht Saitenduft
alter Alhambra –
streich sachter
hinab, sei ein Kuß
weicher Flügel, ich
frage nicht, wessen,
wohin und zurück,
leise nimm mich,
sing zärtlich das
Lied an die Sonne:
Himalayas Krone
voll Demut – schleif
samtner die Säulen
des Nordkaps!
Felsakkorde,
erdlang eingesunken,
Umbruch letzter
Kieselschrift:
Und fahre Du darein
mit Eis und Wolken-
sturm, der unge-
zählte Reiter!
Dann eisgrau
Du und ein Feld.