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Kassandra

Das Brot des Tages einzutunken fällt ihr schwer.
Sie liest verbrannte Dichter und erspürt im Rauch die Schrift.
Des Lächelns Zuversicht scheint ihr in Nacht getaucht.
Sie weiß am Abend haargenau, wie sehr sich Blindheit blind vermehrt.
Der dummen Köpfe Schar zählt sie seit Kindertagen nicht.
Sie warnt den Klugen nur mit Blicken vor Gefahr.
Für die Betörten betet sie, sagt den Verstörten wahr.
Sie ahnt, dass sie an ihrem letzten Lebenstag das Volk noch stört.
Nicht wecken soll ihr leiser Schritt zu Füßen den Vulkan.
Sie schlägt tagtäglich Wege frei, den alten Pfad ums Unglückstal.
Wenn sich die Masse sammelt, wird sie starr.
Sie wäscht ihr Haar im Quell der Einsamkeit.
Im Spott der Welt verflucht sie ihrer Gabe Kraft.
Sie klettert stets bis auf der Zinne Rand.
Vorm Gott des Zweifels brennt ihr Öllicht Tag und Nacht.
Sie kennt ihr Herz und traut ihm darum nur im Schmerz.
Ein Freudensprung geläng‘ ihr erst, wenn sie sich irrt.
Sie möchte fliehen, doch es trifft sie jedes Mal der Blitz.
Den Tod zu künden, ist sie leid.
Sie träumt vom Tag der Heiserkeit.
Bei jeder Warnung trauert sie sich schwarz.
Sie liebt die Welt, sich selber Last.
Wer ihr von Fortschritt spricht, dem schließt ihr Kuss den Mund.
Sie schaut dich wie ihr Schicksal an.
Was steigt aus deinem Bauch heraus?
Sie lockert nicht den Blick.

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LESUNGEN
Am 13.10.2022

18 Uhr

in der Estnischen Botschaft
in 10785 BERLIN
Hildebrandtstr. 5

Lesung zum Buch
BALTISCHE RAPSODIE

» Einladung der Botschaft


Am 15.10.2022

16 Uhr

in GARTZ an der Oder
in der St. Stephanskirche

Lesung zum Buch
BALTISCHE RAPSODIE

» Pressemitteilung


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